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Münchner Kinderschutz-Verein verklagt ehemaliges Heimkind

09.04.2014, München – „Für die Kinder ist es nicht erledigt“ – auf diesen Spruch der Vorsitzenden Richterin kann man die derzeitige Klagewelle eines Münchner Kinderschutz-Vereins wohl bringen. Vor Wochenfrist wurde unter Festsetzung eines Streitwertes von 27.000 Euro ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie a.D. auf Unterlassung verklagt, der presseblog berichtete. Am vergangenen Dienstag musste sich nun das ehemalige Heimkind Mario S. (54) gegen die Klage des Kinderschutz-Vereins vor dem Landgericht München verteidigen.

Auslöser des Rechtsstreits sind schwere Vorwürfe des Beklagten gegen den Verein, so u.a. die Behauptung, er sei in den 1970er Jahren als Heimkind in Einrichtungen des Rechtsvorgängers des Vereins mehrfach sexuell missbraucht und körperlich misshandelt worden. Mario S. sprach in diesem Zusammenhang von „noch immer andauerndem Missbrauch.“

Diese Verhältnisse hat Mario S. gegenüber den Strafverfolgungsbehörden angezeigt. Das Gericht bestätigte, dass zum Zwecke der Strafverfolgung solcherart Äußerungen, zumal wenn sie von einem selbst Betroffenen stammen, rechtlich privilegiert und daher keinesfalls zu beanstanden seien.

Der Streit entzündete sich nun aber an der Tatsache, dass Mario S. seine Strafanzeige auch an mindestens einen Dritten gesendet habe: seine Äußerungen müsse man zudem so verstehen, dass sie in die Gegenwart und in die Zukunft hineinstrahlen, hierfür sei der Beklagte beweispflichtig. Der Kläger selbst habe deshalb Strafantrag gegen den Beklagten wegen des Vorwurfs ehrverletzender Äußerungen gestellt.

Kinderschutz in Gänsefüßchen
Der Kläger sah es u.a. auch als ehrenrührig an, dass der Beklagte den Namen des Vereins in seiner Strafanzeige, die u.a. an die Vereinten Nationen ging, in Anführungszeichen gesetzt habe. Recherchen der Redaktion haben allerdings ergeben, dass der Verein im Jahre 2001 in seiner Festschrift „Innovative Sozialarbeit“ über sich selbst genau dasselbe tat:

Der Beklagte habe Beweise dafür, dass diese Zustände bis heute anhalten. Aus einem 100 Millionen Euro schweren Fond, der 2008 aus der Initiative eines Runden Tisches von Heimkindopfern hervorging, flössen 46 Millionen zurück in solche Vereine wie den des Klägers.

Mario S. selbst sei unter Missachtung geltenden Rechts unter die Vormundschaft des Vereins gestellt worden, obwohl ca. 20 Personen aus seiner Familie als Einzelvormund in Frage gekommen seien. Er habe in fünf Aktenordnern alle Beweise dabei und werde diese im Zuge der Verhandlung auch vorlegen. Er benannte drei Zeugen, die zu den Verhältnissen Aussagen machen könnten. Dabei handele es sich um ein weiteres ehemaliges Heimkind, um die Ehefrau des Beklagten und um einen weiteren Zeugen, dessen Patenkind entsprechende Erfahrungen habe machen müssen.

„Ich suche nicht meinen eigenen Vorteil“
Seine eigene 19-jährige Tochter, die derzeit in einer Einrichtung des besagten Kinderschutz-Vereins lebe, habe er ebenfalls als Zeugin anbieten wollen. Diese habe ihm aber gesagt, dass sie sich nicht traue auszusagen, da sie von Betreuern des Kinderschutz-Vereins unter Druck gesetzt werde.

Der Klägervertreter bestritt diese Äußerungen und brachte erneut die Möglichkeit einer Mediation ins Gespräch, die er bereits schon einmal angeboten habe.

Der Beklagte fuhr fort, die Vorfälle bezögen sich nicht nur auf die 1970er Jahre, sondern 2010 habe es den letzten ihm bekannten Fall gegeben: ein Heim des Klägers sei geschlossen worden, „ganze Rudel an Kindern“ -so Mario S. sichtlich erregt- hätten sich daraufhin gegenseitig missbraucht, die Erzieher hätten dies sehenden Auges zugelassen. Dies müsse aufgeklärt werden.

Beispielsweise seien auch mehrere Kinder einer deutschen Mutter zwangsadoptiert und in Österreich unter anderem Namen aufgezogen worden.

Es sei auch unstreitig, dass es Misshandlungen an Heimkindern gegeben habe. Dies habe der heutige Vorstand des Vereins sogar selbst eingeräumt.

Scheibenförmige Aufklärung
Der Beklagte trug weiter vor, er nehme dem heutigen Vorstand des Vereins durchaus ab, dass dieser an der Aufarbeitung der Vergangenheit interessiert sei, nur komme ihm dies vor „wie die Salamitaktik“ eines kürzlich verurteilten Steuerhinterziehers.

Der Kläger habe dafür sogar einen Zeugen benannt, der wegen falscher Zeugenaussage vor Gericht zu einer Haftstrafe von fünf Monaten auf Bewährung verurteilt worden sei. Zudem sei der Zeuge des Klägers der Peiniger des Beklagten und habe ihn in den 1970er Jahren sexuell belästigt und missbraucht. Bereits dies lasse Rückschlüsse hinsichtlich der Auffassung des Klägers zur moralischen Aufarbeitung der Vergangenheit zu.

Die Vorsitzende Richterin stellte klar, dass der Beklagte zwar die Nachweispflicht für vorgebrachte Tatsachenbehauptungen trage, machte allerdings gleichfalls deutlich, dass ein erheblicher Teil der vom Beklagten vorgebrachten Äußerungen als Meinungen gesehen werden müssten und daher rechtlich nicht angreifbar seien. Ob er allerdings –wie von ihm vermutet- „zu 90 Prozent obsiegen“ werde, stellte sie in Frage.

Kinderrechte erst ab 1989?
Als besonders unverschämt und mit deutlichem Missfallen goutierte das Publikum die Äußerung des Klägervertreters, der Beklagte bezöge sich schließlich nur auf Vorfälle aus den 1970er Jahren, da habe es die UN-Kinderrechtskonvention noch nicht gegeben, also könne sich der Beklagte auch nicht darauf berufen.

Der Klägervertreter wurde bei dieser Äußerung sichtbar rot und griff nochmals das Thema Mediation auf, die nach seinen Vorstellungen unter Führung des Landesjugendamtes stattfinden solle.

Der Vorsitzenden Richterin war das Verhandlungsthema merklich unangenehm. Sie versuchte spürbar, allerdings ihrerseits auch prozessual verpflichtet, auf eine gütliche Einigung der Parteien hinzuwirken und schlug eine gerichtliche Mediation, also unter Vorsitz eines oder einer besonders dafür ausgebildeten Richters oder Richterin, vor.

Der Beklagte müsse sich als Bedingung für eine Mediation aber verpflichten, seine Äußerungen bis zum Ende der Mediation nicht zu wiederholen.

Der mutmaßliche Peiniger wartet auf dem Flur
Dem Beklagten war es wichtig, sollte es zu einer Mediation kommen, dass sein ehemaliger mutmaßlicher Peiniger Arno B. auch mit am Mediationstisch sitze, er wolle ihm in die Augen sehen. Arno B. habe in der Zeit seiner Vormundschaft über den Beklagten diesen „mehrfach unsittlich an Oberschenkeln und Genitalien“ berührt, auch „umarmte und streichelte [er] ihn gegen seinen Willen“.

Danach habe Arno B. den Beklagten in das Amalie-Nacken-Heim verbracht, wo Peter S., ein Freund des Arno B., als Diplom-Sozialpädagoge und Erzieher gearbeitet habe. Peter S. habe den Beklagten „in der Zeit seines Aufenthaltes mehrmals nachts während der Schlafenszeit in seinem Zimmer aufgesucht, unsittlich berührt, sich vor ihm entblößt und sich vor dessen Augen selbst befriedigt.“ Dies habe Mario S. gegenüber dem Gericht in einer Eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht.

Der Klägervertreter äußerte dazu lediglich, er könne Herrn B., der auf dem Flur wartete und zeitweise auch im Gerichtssaal anwesend war, nicht zwingen, an einer Mediation teilzunehmen.

Die Zwischenlösung
Die Beteiligten einigten sich schließlich auf einen so genannten Zwischenvergleich. Dieser beinhaltet, dass der Beklagte sich verpflichtet, seine Äußerungen außer in geordneten Verfahren bis zum Ende der Mediation nicht zu wiederholen. Der Kläger seinerseits verpflichtet sich, seinen Strafantrag gegen Mario S. zurückzunehmen und bis zum Ende der Mediation kein Hauptsacheverfahren anzustrengen.

Nachtrag in eigener Sache: Die Redaktion hat gegen den Rechtsanwalt des Klägers zwischenzeitlich Strafanzeige aus allen rechtlichen Gründen erstattet sowie Strafantrag gestellt – Grund: siehe oben. Der presseblog wird weiter berichten.

     
 

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